1893 - "Mit dem Schi auf das Kitzbichler Horn"

KSC Sportgeschichte

Von Franz Reisch in Kitzbichl (ein Bericht aus dem Magazin „Schneeschuh“)

Ich machte die ersten Versuche mit norwegischen Schneeschuhen im Januar 1893. Der neue ganz eigentümliche Reiz dieses Sports regte mich zu einem Eifer an, der fast Begeisterung war und ich lernte in kurzer Zeit bergauf und ab steile Abhänge überwinden. Beim Bergauffahren überwiegt die Kraftanwendung den Vorteil, während das Abfahren lediglich Courage und Übung ist. Ich benutze den Stock in letzter Zeit nur noch zu „Stabübungen“ unter der Fahrt und konnte ohne Unfall über steile Flächen 6-8 jährige Buben huckepack nehmen. Der schneereiche Winter im Gebirg kam mir besonders zu statten, denn der Wahlspruch der Skiläufer „je höher der Schnee desto freier die Bahn“ gilt besonders für unsere Gegend. Wenn die vielen Zäune, welche die einzelnen Bauerngüter, Alpen etc. abgrenzen, nicht zugeschneit sind, bilden sie tatsächliche Hindernisse. Das Laufen in der Ebene und auf den kleinen Hügeln bot mir bald zu wenig Abwechslung und so machte ich Versuche in der Bergregion. Das gesamte Gebiet der Kitzbichler Alpen ist ja wie geschaffen dazu, da die Gipfel durchschnittlich nur auf der Nordseite steil abfallen, während nach den andern Richtungen stark geneigte Alpenweiden sind.

Nach vielen Touren in der Höhe von 1200 – 1500 m und manchem wegen Tauwetter gescheiterten Versuch höher hinaufzukommen gelang es mir endlich am 15. März d.J. das als Aussichtspunkt weltbekannte Kitzbichler Horn (1994 m) zu ersteigen. – Da ich die Tour erst mittags 12 Uhr begann, war der gefrorene Schnee aufgeweicht und die Furche war glatt und wasserhell, wie eine Eisrinne. Ich hielt genau Wegrichtung und habe auch die steilsten Stellen ohne Serpentinen, ohne „Hexenstich“ und „Treppenschritt“ genommen. Da heißt´s natürlich die Körperschwere ganz nach vorn zu legen, die Nase berührt fast die Hörner der Schuhe; denn gleitet man an steiler Stelle nach rückwärts aus, so hält das „Stand gewinnen“ sehr schwer. Überhaupt ist das Aufstehen nach dem wohl meist gefahrlosen Fallen eine umständliche Prozedur, die auch seine Übung erfordert. Der Aufstieg nahm 2 ¾ Stunden incl. kleiner Rast in Anspruch. (Gehzeit im Sommer 3 Stunden). Die Anstrengung bei ziemlich gleicher Zeitdauer ist ja nun entschieden eine größere, als das Gehen auf aperen Wege, aber jeder geübtere Bergsteiger, jeder Freund einer sportlichen Kraftanstrengung wird solche Tour leicht zu Wege bringen und großen Genuß auch am Aufstieg finden.

Die Abfahrt nun war grandios zu nennen. Die bergauf eine Stunde lange Strecke Horngipfel-Trattalpe fuhr ich in rasendem Saus in 3 Minuten, so daß ich noch ein gutes Stück die Hügel oberhalb der Alpe hinauffuhr. Dieser herrliche, alle Kräfte anspornende Genuß ist nun der schwierige Punkt der Ski-Verwendung im Hochgebirge, denn die Abfahrt erfordert unbedingt eine sehr gute Terrainkenntnis. Die Schneefläche trügt; man sieht Abgründe, wo sanfte Halden sind und weicht mancher gutfahrbaren Fläche aus, um eine schlechte einzutauschen; die Schnelligkeit aber ist zu groß, um den Fehler gut zu machen. Schneemänner zur Abfahrt-Markierung müssen aus dunklem Stoffe sein, um die während der laufenden Fahrt zu erkennen, die gewöhnlichen waren mir stets nutzlos. Auch fehlt anfangs die Berechnung der Auf- und Abfahrt-Differenz. Mir hat oft an ganz bekannten Punkten die Orientierung bei der Talfahrt gefehlt. Auf dem Horn nun war ich dazumal zum 61. Mal; da war ich meiner Sache sicher. Trotzdem schien mir aber die lawinenerfüllte „Goinger Laning“-Seite, die gequert werden muss, eine unbekannte Gegend. So genussreich nun eine Abfahrt auf freiem Plan ist, so unerquicklich, wohl auch gefährlich ist dieselbe auf schmalen Waldwegen. Die vielen Krümmungen, die Nähe der Bäume bilden fortwährende Hindernisse, obwohl man z.B. in lichten Wäldern Ausweichen und Wenden bald los hat. Ist der Weg gar fest getreten, oder so schmal, dass man die Aufstiegsfurche benützen muss, so ist die Schnelligkeit sehr groß und in diesem Terrain einfach gefährlich. Nur durch fortwährendes Bremsen, oder sich hinwerfen weicht man unliebsamen Berührungen oder einem Fall aus. Ich brauchte zur ganzen Abfahrt 1 Stunde; 57 Minuten davon kamen auf die Waldtour, die bei freier Bahn kaum 10 Minuten davon in Anspruch nehmen würde. Es ging jedoch alles gut von statten und ich habe den Beweis, dass sich viele unserer Gipfel mittelst Skiern mit grösserem Genuss, als bei den sonst üblichen Winter-Fuss-Touren erreichen lassen.

Im Ganzen genommen ist für Bergtouren Februar-März zu spät und ich bedauerte, nicht früher dazugekommen zu sein. Die Kälte ist grösser, wie im Dezember-Januar, der Aufenthalt auf den Spitzen weniger angenehm und es ist Hartschnee außer den paar Mittagsstunden an sehr schönen Tagen. Der „Hoscht“ – wie wir den Hartschnee nennen – ist überhaupt ungeeignet für unsern Sport. Die Schneefläche friert nicht glatt, sondern wellig und bildet kleine Hügelchen, die ein paralleles Halten der Beine fast unmöglich machen. Man muss bergauf und ab schon gute Übung haben, um vorwärts zu kommen; das Fallen ist fast unvermeidlich und dabei zerkratzt man sich die Hände. In das Ideal der Schneebahn wird aber die gefrorene Decke verwandelt, wenn 1-2 cm hoch leichter Schnee darauf fällt. Da kann man sich auf der sanftesten Halde ein Bild einer laufenden Bergfahrt machen.
Mit Recht wird der Schneeschuhsport der Sport aller Sporte genannt. Diese Bedeutung gewinnt derselbe aber erst im Hochgebirge. Das momentane Handeln beim Durcheilen eines ungleichen Terrains übt die Geistesgegenwart in hohem Masse und den Genuss des Zurückschauens auf eine in wenigen Augenblicken zurückgelegte riesige Strecke kennt so weder der Reiter noch Radfahrer. Und nun gar das Springen die Krone des Schneeschuhsports, übertrifft jedes ähnliche Gefühl einer guten sportlichen oder turnerischen Leistung. Hier ist es auch wieder der frühe Winter, der dazu günstig ist, da sich später der Schnee zum Bauen der Absprungstelle nicht mehr eignet und die Aufsprungstelle zu hart ist. Bei Touren im Hochgebirge möchte ich nur Gesellschaft empfehlen. Abgesehen von immer möglichen ernstlichen Unfällen, sind schon all die kleinen Kalamitäten in Gesellschaft vergnüglicher als allein.

Wer je eine Wintertour im Gebirge unternommen hat, weiß die großartige Erhabenheit der Natur um diese Zeit zu schätzen und in dem Schneeschuh ist uns ein Mittel geboten, mit wenig Anstrengung aber sicher großem Vergnügen ein derartiges Unternehmen zu wagen. Wer´s einmal versucht, den lockt es sicher zur ferneren Wiederholung.