Kinder sollen sich ohne Leistungsdruck entwickeln

Sprunglauf / Nordische Kombination

Ein Aufruf an Eltern und Schulen

Die Breite von unten im Sport ist wichtig. Das kennt man seit eh und je. Der Kitzbüheler Ski Club ist einer der wenigen Vereine in Tirol, der sich intensiv mit dem nordischen Sport auseinandersetzt. Bei den Skispringern und Nordischen Kombinierern gingen in Tirol in den vergangenen Jahren Vereine sozusagen verloren. Aufgrund der hohen Auflagen für Schanzenanlagen konnten viele Vereine aus finanziellen Gründen die Anlagen nicht mehr adaptieren. Derzeit sind die aktivsten Vereine der KSC, SC Mayrhofen, SV Innsbruck Bergisel und das Nordic Team Absam. Besonders erfreulich ist, dass das KSC Team nun zum dritten Mal in Folge den Landescup gewonnen hat. Referent Seppi Jenewein hat mit Rainer Lienher, Steff Hager , Robi Mauracher und mit engagierten Eltern ein gutes Team um sich geschart, damit auch alles funktioniert. „Keine Selbstverständlichkeit,“ so Jenewein. Besonders schwierig ist es, Eltern für das Skispringen zu begeistern. Warum Eltern? Eltern bringen ihre Kinder zum Sport.  Dem Skispringen stehen sie aber oftmals skeptisch gegenüber. „Dabei gibt es wenig Unfälle und Verletzungen im Vergleich zu anderen Wintersportarten.“ Auch Volksschulen und damit die Lehrer können uns dabei sehr unterstützen, ihren Schützlingen den Sport näher zu bringen und somit die Brücke zu den Vereinen zu bauen. Die Kinder zu motivieren, mit Eltern zu sprechen. Sport ist positiv für die Entwicklung.

Oftmals werden von Erwachsenen die hohen Ausrüstungskosten als Gegenargument angeführt. „Das ist überhaupt nicht so. Bei uns bekommen die Kinder Material wie Sprunganzug, Sprungski und Schuhe kostenlos zur Verfügung gestellt,“ argumentiert Jenewein.

Seppi Jenewein war Skispringer und dieses Feuer für den Sport ist bis heute geblieben. Seit 2001 ist er beim Kitzbüheler Ski Club (KSC) Referent und Trainer für Sprunglauf und Nordische Kombination. Jenewein ist ein Denker, manchmal nicht einfach. Trotzdem bringen ihm Coaches aus dem In- und Ausland Respekt entgegen. „Ich spreche aus, was andere sich nicht trauen,“ sagt er über sich selbst.

Wie gewinnst du Kinder für den Sprunglauf?

Durch Eltern, direkte Anrede, auch durch die Schulen  und oft nehmen die Kinder Freunde zum Training mit. Wichtig sind die angebotenen Schnuppertrainings.

Viele Jahre hast du über das Drop-out gesprochen, gibt es da eine Besserung?

Nein, es hat sich nichts getan. Gerade der Übergang zwischen Schüler 2 und Jugend ist hart. Ich denke an ein neues Projekt, davon werdet ihr in einigen Monaten sicher hören. Wir sind in der Planungsphase.

Es sind mittlerweile auffallend weniger Wettkämpfe im Kalender, hat sich das gelohnt?

Ja, als ich vor einigen Jahren den Vorschlag machte, wurde ich noch belächelt. Mittlerweile hat es sich durchgesetzt, zumindest in Tirol. Grund war, dass die Kinder und Schüler vor lauter Wettkampfterminen kaum mehr Trainings absolvieren konnten. Es wurde auch einseitig für die jungen Sportler. Dann macht es keinen Spaß mehr. Die jungen Athleten sollen vielseitig trainieren und ausprobieren. Natürlich ist das Einstiegsalter für das Skispringen mit sieben, acht Jahren optimal, aber sie sollen mehrere Sportarten ausüben. Junge Athleten sollen meiner Meinung nach im Kinder- und Schüleralter nicht durch Ergebnisse bewertet werden, der Antrieb besser werden zu wollen soll von der Begeisterung für den Sport kommen und nicht durch eine Medaille oder Lob. Leider passiert manchmal sogar das Gegenteil, dass Kinder und Schüler für schlechte Platzierungen, zu wenig Tore, zu viele Fehler usw. von Trainern und Eltern kritisiert werden. Der norwegische Toptrainer Trond Nystad sagt, dass  junge Athleten bis zum 14. Lebensjahr gar keinen Wettkampf bestreiten sollten, sie sollen sich entwickeln können und dürfen nicht bereits im Kindesalter verheizt werden. Es soll nicht immer Leistungsdruck geben. Bei den Norwegern funktioniert das bereits. Übrigens gibt es eine deutsche Studie über das Deutsche Weltmeister-Fußballteam von 2014. Die zeigte auf, dass 70%  der Mannschaft bis zum 15. Lebensjahr gar nicht fix entschieden hat, was sie einmal machen möchten. Sie kamen aus anderen Sportarten. Schweinsteiger war Alpiner, es waren Handballer dabei und so weiter. Dann waren sie so richtig heiß auf Fußball und es hat funktioniert.

Die frühe Spezialisierung lässt die jungen Athleten ausbrennen, zudem hat sich gezeigt, dass vielseitige Sportler eine Technikänderung schneller aufnehmen können und dieser offener gegenüberstehen.

Die Luft nach oben ist dünn, derzeit gibt es im Jugendbereich einige Hoffnungsträger seitens KSC. Wie können diese Athleten unterstützt werden?

Ja und hier müssen wir konsequenter ansetzen. Kinder sollen bei ihren persönlichen sportlichen Zielen unterstützt werden. Wohin möchte das Kind kommen? Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Die Jugend und Junioren-Athleten sind oftmals hin und hergerissen. Sie kommen zu verschiedensten Trainern ; ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, ist schwierig. Gerade im Jugendbereich gibt es große Verunsicherungen. Ein Trainer sagt den jungen Sportlern, , wie sie es machen sollen, der nächste Trainer gibt andere Anweisungen. Viele Köche verderben den Brei, könnte man sagen. Weiters sind viele Athleten, die nicht sofort den Weg mit 18 an die Spitze schaffen, dem Wohlwollen einzelner Personen ausgesetzt. Der eigene Verein soll immer die Heimat bleiben, da wo sie zurück kommen können. Technische Fehler werden beim Skispringen gerade auf den kleinen Schanzen ausgemerzt.

Das KSC Team hat zum dritten Mal in Folge den Gesamtsieg beim Landescup gewonnen, dazu haben die Kinder bzw. Schüler fünf Einzelsiege von acht errungen. Wohin soll das Team kommen?

Natürlich bin ich happy, aber mir wäre lieber, sie gewinnen das nicht im Kinder- und Schülerbereich, sie sollten eine ordentliche Grundausbildung im Sport erhalten und dann später in den Wettkampf einsteigen und letztlich im Weltcup gewinnen!

Hängt es von den Eltern ab, ob ein Kind zum Sport gebracht wird oder nicht? Was kann man Eltern raten?

Wie gesagt, nicht nur die Eltern, auch die Kindergarten- und Schulverantwortlichen, allen voran das Bildungsministerium,  sind gefordert ,etwas zu tun. Der erste Schritt ist die Frühförderung und die muss natürlich von den Eltern kommen. Das ist mit einfachsten Mitteln möglich, einfach in die Natur gehen, im Wald spielen. Gerade bei uns kann man Vieles unternehmen.

Was ist mit den Schulen, explizit den Volksschulen, wird dort der Sport beworben? Geht ihr aktiv zu den Schulen?

Ich habe erfahren, dass manchmal Eltern nicht möchten, dass ihre Kindergartenkinder rausgehen. Da gibt es verschiedene Gründe, weil sie Angst haben, die Kinder könnten sich verletzen, kommen verdreckt nach Hause. Damit ist für die gesamte Gruppe das Rausgehen gestorben. Die Leitung der Kindergärten sollte da ein ernsthaftes Wort mit diesen Eltern sprechen. Fast jedes dritte Volksschulkind in Österreich leidet, gemäß einer neuen Studie des Gesundheitsministeriums, an Übergewicht. Hier kann in den Volkschulen entgegengewirkt werden, indem man den Kindern durch mehr Sportstunden die Begeisterung für Bewegung und Natur vermittelt. Es ist schon klar, Kinder müssen lesen, schreiben und rechnen lernen – aber es ist auch erwiesen, dass Lernen mit Sport leichter fällt.

Was wünschst du dir für die Zukunft? Wie findet man Talente?

Talente werden nicht geboren, Talente wachsen aus den Familien. Wenn ein Kind bereits frühest viel mit der Familie unternimmt, sich bewegt, rausgeht in die Natur, kann es sich entwickeln. Kinder aus aktiven Familien sind dann die sogenannten Talente, die alles können. Hier muss man auch den Sport, das Rausgehen in die Natur im Kindergarten ansprechen. Es ist in Ordnung, wenn die Kinder verschmutzt nach Hause kommen. Hauptsache, sie haben etwas getan. Ein Talent wächst heran. Beteiligt sind daran Eltern, Kindergarten und die Schulen. Dazu gesellen sich aktive Vereine, allerdings müssen die Kinder dazu motiviert werden.

Für die Zukunft muss viel getan werden. Seit 40 oder 50 Jahren ist gerade im oberen Bereich des Spitzensports fast  alles gleich geblieben, es gab keine Anpassungen an die heutige Zeit. Das muss aufgebrochen, neu strukturiert werden. Das ist mein Ziel.

 

 

Das Gespräch mit Seppi Jenewein führte Barbara Thaler|KSC