Page 18 - Sonderausgabe Skikitz 2020 Dezember Sepp Kahn
P. 18
Plötzlich fällt es mir ein: Die beiden befinden sich in einer Krise.
Sie haben sich noch nicht ganz entzweit, gehen aber auch nicht
gemeinsam schifahren. Der Mann unternimmt – und das muss
man ihm hoch anrechnen – mit diesem Kitzbühel–Aufenthalt
einen letzten Versuch, die Ehe doch noch zu retten. Sozusagen
Leim in die Risse zu träufeln. Hoffentlich weiß es die Frau zu
schätzen.
Weil wir jetzt oben angekommen sind, steigen wir aus und ich
begebe mich hinüber zum Starthaus. In Kürze startet der erste
Trainingslauf. Am Absperrzaun stehen viele Leute und schauen
hinüber zu den Athleten. Soll ich…? Ich habe ja meinen Ausweis
umgehängt. Zur – durch einen Sicherheits-Mann abgesperrten
Lücke – gehe ich nun, hole mein Kärtchen hervor, zeige es dem
Mann und augenblicklich werden seine harten Züge weich
und er winkt mich hinein. Hinter mir höre ich jemanden sagen:
„Schau, der darf hinein.“ Daraufhin ein anderer: „Ein Alminger
darf überall hinein“. (Da muss mich jemand kennen.) Niemals
zuvor hätte ich geglaubt, dass ich den berühmten Abfahrern
so nahekommen würde. Matthias Mayer, Josef Ferstl, Vincent
Kriechmayr…, alle stehen in meiner Reichweite. Bah, die haben
Oberschenkel! Danach stürzen sie sich der Reihe nach in die
Tiefe. Meinen Standplatz verändert habe ich, stehe nun herunten,
knapp oberhalb der Mausefalle. Von hier sieht man zum Start
hinauf, dann wie sie über die Mausefalle hinausspringen und
unten – ein paar Sekunden sind sie entschwunden – bei der
Kompression tauchen sie wieder auf, sollen die Linkskurve
schaffen und … Wilde Hunde sind das schon, man muss
jeden bewundern. Schade, dass Dominik Paris sich verletzt hat.
Mit einem Einheimischen komme ich ins Gespräch und der
Mann schildert mir auch die Schattenseiten der ganzen
Entwicklung. Höre das nicht zum ersten Mal. Die Reichen,
Prominenten treiben die Grundpreise in die Höhe… Ja,
das stimmt schon, aber ohne den Tourismus stünden
wir auch arm da. Im Zielstadion unten schaue ich
mir die restlichen Abfahrer an. (Beim Abschwingen.)
Ein Wanderer wandert gern. Nun sitze ich auf einer sonni-
gen Bank vor einem großen, alten Haus in der Stadt. „Tiroler
Weinritterschaft“ steht auf einer edlen Tafel, rechts neben
dem Eingang.
17